Idee der Baugruppe

Modell der Baugruppe

Eine neue Baugruppe für das Freilichtmuseum

Der Marktplatz Rheinland führt die kulturgeschichtliche Präsentation im LVR-Freilichtmuseum Kommern bis in die Gegenwart. In den vier regionalen Baugruppen im LVR-Freilichtmuseum Kommern werden rheinische Lebenswelten vom 16. bis frühen 20 Jahrhundert gezeigt.

Die fünfte Baugruppe Marktplatz Rheinland widmet sich der Zeit von 1945 bis zum frühen 21. Jahrhundert. Sie zeigt die Urbanisierung des ländlichen Raumes, verbunden mit der Auflösung traditioneller ländlicher Ortsbilder.

Um einen Dorf- bzw. Marktplatz herum werden verschiedene Gebäude ganz unterschiedlicher alltagsgeschichtlicher Bereiche der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit stehen: Gaststätte, Friseursalon, Tante-Emma-Laden, Apotheke, Optikerladen, Bäckerei, Metzgerei, Kino, Kirche u.a.m. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelten sich zahlreiche neue Gebäudetypen, die von einer überregionalen Angleichung im Bauwesen geprägt sind. Fertighäuser und Flachdachbungalows bilden die Neubausiedlungen am Rande der Dörfer.

Die gravierenden Veränderungen des 20. Jahrhunderts werden anhand von Originalgebäuden und ihrer originalen Möblierung gesammelt, dokumentiert und den Besuchern präsentiert. Bauten verschiedener Jahrhunderte aus den rheinischen Landschaften werden in das Freilichtmuseum transloziert und dort nach dem Vorbild historisch gewachsener Ortsstrukturen zueinander in Beziehung gesetzt. Auch wenn die Darstellung in einem Freilichtmuseum mit der – nicht darstellbaren – historischen Realität nicht identisch sein kann, lassen gerade diese vielen originalen Objekte zusammen mit den Gebäuden auf dem Marktplatz Rheinland das Leben in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts anschaulich und nachvollziehbar, wenn nicht sogar „lebendig“ werden.


Notzeiten und Wirtschaftswunder
Gruppe von Frauen auf Trümmern

Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, Städte und Dörfer liegen in Trümmern, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder stehen an. Mit der Darstellung dieser Zeit soll in der neuen Baugruppe begonnen werden. Zwei Nissenhütten zeigen anschaulich das Leben in der Notzeit. Auch andere Behelfsheime wurden mit minimalstem Materialaufwand notdürftig hergerichtet. In diesen provisorischen Unterkünften haben in den Nachkriegsjahren viele Vertriebene, Flüchtlinge und Ausgebombte wohnen müssen. Oftmals "hausten" hier mehrere Familien auf engstem Raum – meist nur durch eine provisorische Trennwand aus Teppichen oder Decken voneinander getrennt.

Die hygienischen Verhältnisse waren aus heutiger Sicht sehr bedenklich bis katastrophal. Der in der Retrospektive oft gelobte zivilisatorische Fortschritt der folgenden Jahrzehnte wird auch in der neuen Baugruppe nachvollziehbar werden. Sowohl das "Plumsklo" auf dem Hof als auch die ersten Badezimmer mit WC werden hier zu sehen sein.

Das einsetzende Wirtschaftswunder erreichte noch lange nicht jeden. Bei der Einführung der D-Mark im Juni 1948 startete die Bevölkerung mit einem "Kopfgeld" von 40 DM. Die neuen Scheine waren zunächst im Aussehen noch fremd; die 20-DM-Scheine erinnerten an amerikanische Dollarnoten. Mit der Zeit aber nahm die Wohlstandsrepublik deutlich Konturen an – nicht nur bei den Konfektionsgrößen. Die "Fresswelle" rollte durchs Land, der Bauboom setzte ein. Musik- und Heimatfilme begleiteten die erste – wenn auch noch jahrelang auf die wohlhabenden Bevölkerungsteile beschränkte – "Reisewelle" in die Berge bis nach Italien. Aber auch Rhein und Mosel waren beliebte Reiseziele.

Kulturgeschichtliche Maßstäbe aber setzte die Amerikanisierung einhergehend mit einer sich rasant entwickelnden Technisierung: Kühlschrank und Fernsehgerät, Kaugummi und Straßenkreuzer, Mickey Mouse und Tupperparty, Nylonstrumpf und Lederjacke, Petticoat und Rock ’n ’Roll.


Technischer Fortschritt
Historisches Foto: Grenzbeamten kontrollieren PKW. Foto: Privat, Faber

Das 20. Jahrhundert ist eine Zeit großer gesellschaftlicher Veränderungen. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelten sich zahlreiche neue Gebäudetypen, die durch die rasch fortschreitende Technisierung entstanden:

Der zunehmende Individualverkehr führte zur Errichtung von Tankstellen, Autowerkstätten und Parkplätzen. Die allmählich flächendeckende Energieversorgung mit Strom brachte Veränderungen im Straßenbild. Transformatorenhäuschen, Hochspannungs- und Freilandleitungen lieferten die neue Energie in jedes Haus.

Neue Kommunikationstechnologien wie das Telefon konnten nur realisiert werden mit der Errichtung von Telegrafenmasten, die ein immer größer werdendes Netzwerk bildeten. Wer sich keinen privaten Hausanschluss leisten konnte, nutzte die immer häufiger auf den Straßen oder Plätzen stehenden Telefonzellen. Das neue Wunder des Fernsehens veränderte mit den privaten Dachantennen das Aussehen der Häuser und im Inneren mit den neuen Geräten die Möblierung der Wohnzimmer. Auch auf die alltäglichen Gewohnheiten hatten die technischen Apparate zunehmenden Einfluss. Die Tagesschau wurde in vielen Familien zu einer festen Institution.

An den Gebäuden und ihrer Möblierung lassen sich viele Veränderungen der Lebensgewohnheiten ablesen.

Das 20. Jahrhundert bringt nicht nur gravierende Veränderungen in der städtebaulichen Entwicklung mit sich. Auch die Bauweisen der Profanbauten, die bis in das 19. Jahrhundert noch regional ausgerichtet waren und so das Orts- und Landschaftsbild maßgeblich prägten – wie in den vier regionalen Baugruppen des Museums zu sehen ist – ändern sich nun grundlegend. Überregionale Baustile führen zu einer Zurückdrängung der regionalen Besonderheiten. Bauweise und Materialien werden durch die industrielle Produktion und die vereinfachten Transportmöglichkeiten auch über weite Strecken vereinheitlicht. Dennoch verändern die Städte ihr Aussehen und Erscheinungsbild nicht über Nacht. Bis heute finden sich in den Städten und Dörfern des Rheinlandes Gebäude unterschiedlichen Alters nebeneinander.